Wieso lässt Professor Clay in dem Spielbuch „Zwergberg: Memento Mori“ Nick und Tim Xenongas inhalieren? (Taschenbuchausgabe Zwergberg, S. 260)
Du blickst so weit zur Seite, wie es dir unter diesen Bedingungen möglich ist. Neben deinem Bett sitzt ein älterer kahlköpfiger Mann in einem weißen Arztkittel auf einem Hocker. Er hat dir den Rücken zugedreht und bedient irgendwelche Knöpfe an einem Gerät, das, soweit du erkennen kannst, wie eine Beatmungsmaschine aussieht. Zwei schwarze Gesichtsmasken aus Gummi hängen an den Seiten. Sie sind durch Schläuche mit einer blauen Gasflasche verbunden. Auf der kannst du das Wort Xenongas lesen.
Du rollst weiter mit den Pupillen, versuchst, dir einen Überblick zu verschaffen. An der Zimmertür steht eine weitere Person. Die nimmst du aber nur schemenhaft aus den Augenwinkeln wahr.
»Das Edelgas wurde im Verhältnis von siebzig zu dreißig mit Sauerstoff vermischt und wird von den Jungen unter Normaldruck eingeatmet«, erklärt der Arzt neben dir, während er weiter an einigen Reglern dreht. »Dadurch wird das Curare von den neuromuskulären Rezeptoren verdrängt. Die Muskellähmung wird sich bald wieder lösen.«
Moment mal, denkst du. Diese Stimme hörst du nicht zum ersten Mal. Das ist Professor Clay, der Chef von Genomik. Zischend entweicht ein Luftgemisch aus einer der schwarzen Gesichtsmasken. Der Mediziner nimmt sie von der seitlichen Halterung und setzt sie Tim auf Nase und Mund.
Dein Bruder rührt sich ja gar nicht. Du bekommst es mit der Angst zu tun. Was macht der Kerl mit Tim?
»Passen Sie auf, Magnus! Gleich blockiert das Xenon im Gehirn die Rezeptoren, die für die Speicherung von Erinnerungen wichtig sind.«
Zu den wissenschaftlichen Fakten:
Xenongas wirkt narkotisierend und kann in der Medizin als Inhalationsanästhetikum benutzt werden. Wie man darüber hinaus herausgefunden hat, blockiert es im Gehirn aber auch sogenannte NMDA-Rezeptoren. NMDA-Rezeptoren steuern Ionenkanäle in den Membranen von Nervenzellen, über die Informationen übertragen werden, die an der Gedächtnisbildung und an der Verknüpfung von Emotionen beteiligt sind. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass konditionierte Ratten, die zuvor einem angstauslösenden Ereignis ausgesetzt wurden, sich nach Inhalation von Xenongas, an dieses Ereignis scheinbar nicht mehr erinnern konnten. In der Medizin werden diesbezüglich therapeutische Ansätze bei Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) verfolgt, die möglicherweise durch das Löschen der Erinnerungen an eine traumatische Erinnerung, hoffnungsvolle Ansätze versprechen.
Durch die Inhalation des Xenongases will Professor Clay sicherstellen, dass Nick und Tim ihre Erinnerungen an die Geschehnisse in der Kuppelwelt vergessen, denn die Forschungsarbeiten von Genomik sollen auch weiterhin streng geheim bleiben.
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Quellen:
Xenon impairs reconsolidation of fear memories in a rat model of post-traumatic stress disorder (PTSD); PLoS One. 2014 Aug 27;9(8):e106189. doi: 10.1371/journal.pone.0106189. eCollection 2014.
Combining Xenon Inhalation With Trauma Memory Reactivation to Reduce Symptoms of Posttraumatic Stress Disorder: Case Report, Justification of Approach, and Review of the Literature; Dobrovolsky et al.; Prim Care Companion CNS Disord. 2019 Sep 19;21(5):18nr02395. doi: 10.4088/PCC.18nr02395.
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